Die unsägliche Machtergreifung

Die unsägliche Machtergreifung

[Brandenburger Tor, Berlin • 2. August 2015 und 30. Januar 1933]

Vor 90 Jahren ergriffen die Nazis die Macht und würgten die Weimarer Republik ab.
Reichspräsident Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler, und der sorgt sogleich für mächtige Bilder.

18:00 Uhr: LKWs karren NSDAP, Deutschnationale Volkspartei und Stahlhelm zur Siegessäule.
19:15 Uhr: Der Fackelmarsch setzt sich in Bewegung – durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor.
20:00 Uhr: Der Fackelzug marschiert in Reih und Glied durchs Brandenburger Tor.
20:15 Uhr: Der Fackelzug biegt in die Wilhelmstraße ein; in Nr. 70 schaut der britische Botschafter zu.
» Sir Horace Rumbold zählt 1600 Sechserreihen, also knapp 10000 Nazis in Uniform.
(Goebbels faselt was von einer Million.)
20:30 Uhr: Die ersten Reihen erreichen die Wilhelmstraße 77/78 – Reichskanzlerpalais und Reichskanzlei.
» Der senile Hindenburg hält die Marschierer für "Russen, die wir in Tannenberg besiegt haben".
» Nebenan in der Reichskanzlei steht Hitler am Fenster und winkt triumphierend.
23:30 Uhr: Das Ende des Fackelzuges zieht an der Reichskanzlei vorüber.
» Auf dem Wilhelmplatz sammeln sich Teilnehmer und Zuschauer und brüllen bis nach Mitternacht "Heil Hitler!"

So rächte sich, dass es Reichskanzler Franz von Papen 1931 versäumte, die NSDAP zu verbieten.
Statt dessen lavierte er vergeblich, die NSDAP als zweitstärkste Partei für sich zu gewinnen.
Papen wurde 1932 von General Kurt von Schleicher als Reichskanzler abgelöst.
Damit konnte Hitler 1932 gegen Hindenburg und Thälmann in der Reichspräsidentenwahl kandidieren.
Hindenburg gewann, aber er setzte den intrigierenden Papen lediglich als Vizekanzler ein.
Zum Kanzler ernannte er NSDAP-Spitzenkandidat Hitler, wovor der Kommunist Thälmann gewarnt hatte:
"Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Und wer Hitler wählt, wählt den Krieg."

Dann geht alles ganz schnell.
27. Februar 1933: Mit dem Reichstagsbrand stirbt der Tagungsort der "alten Systemparteien".
21. März 1933: "Tag von Potsdam" – Bündnis zwischen den Nazis und der konservativen Elite.
22. März 1933: Baubeginn des ersten deutschen Konzentrationslagers in Dachau.
23. März 1933: "Ermächtigungsgesetzes" – Entmachtung des Parlaments; nur die SPD stimmte dagegen.
1. April 1933: Einführung des "Arierparagraphen" – Boykott jüdischer Geschäfte
7. April 1933: "Gleichschaltung" der Länder im Deutschen Reich
1. Mai 1933: Vereinnahmung als "Feiertag der nationalen Arbeit" mit landesweiten Aufmärschen.
2. Mai 1933: Besetzung aller Gewerkschaftsbundhäuser im Lande.
10. Mai 1933: Gründung der "Deutschen Arbeitsfront" als Gegenentwurf zum Gewerkschaftsbund.
10. Mai 1933: Bücherverbrennung
20. Juli 1933: "Reichskonkordat" – der Papst segnet die Entpolitisierung der katholischen Kirche ab.
1. Oktober 1933: Gründung der "Sudetendeutschen Heimatfront"
30. Juni/1. Juli 1934: "Röhm-Putsch" – Hitler entledigt sich Ernst Röhms und seiner SA.
25. Juli 1934: "Wiener Juliputsch" – er misslingt; der Anschluss Österreichs zieht sich bis 1938.


Heute gebrauchen Pegida, AfD, "Querdenker" und Putin-Versteher wieder den alten Nazi-Jargon:
"Lügenpresse" – alle "gleichgeschalteten" Medien, also die öffentlich-rechtlichen "Staatsmedien"
"Altparteien / Systemparteien abschaffen" – Wahlkampfparolen 2021
"Umvolkung" – Einwanderungspolitik als absichtlich herbeigeführte Überfremdung des Volkes
"Das Volk" – Vereinnahmung der gesamten Gesellschaft durch den rechten Rand
"Ermächtigungsgesetz" – die Corona-Novelle zum Infektionsschutzgesetz
"Ungeimpft"-Schriftzug im gelben Judenstern – antisemitischer Vergleich, Holocaust-Relativierung
"Medizinexperiment" – fahrlässige Tötung bzw. gezielter Holocaust durch die Corona-Impfung
"Schuldkult" – Verweigerung jeder historischen Verantwortung
"jüdische Weltverschwörung" – Diskreditierung von Weltwirtschaftsforum, Soros-Stiftung, Präsident Selenskyj
…

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. (Bertolt Brecht, Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, 1957)