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Jenseits von Eboli

Jenseits von Eboli

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ugm


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Jenseits von Eboli

In einiger Entfernung vom Bahnhof kam ich auf eine Straße, die nur auf einer Seite von alten Häusern gesäumt war und auf der andern an einem Abgrund entlangführte. In diesem Abgrund lag Matera. Aber von dort oben sah man fast nichts, weil der außerordentlich steile Hang beinah senkrecht abfällt. Als ich mich hinabbeugte, sah ich nur Terrassen und Pfade, die den Ausblick auf die drunterliegenden Häuser verdeckten. Gegenüber erhob sich ein kahler Berg von häßlicher grauer Farbe ohne die Spur einer Anpflanzung und ohne einen einzigen Baum: nichts als Erde und Steine in der prallen Sonne. Ganz unten ?oß ein Gießbach, die Gravina, mit nur spärlichem, verschlammtem Wasser auf dem Kiesgrund. Fluß und Berg wirkten düster und böse, so daß es einem das Herz zusammenzog. Die Schlucht hatte eine merkwürdige Form: wie zwei halbe Trichter nebeneinander, die durch einen kleinen Vorsprung getrennt sind und sich unten in einer gemeinsamen Sp?tze vere?n?gen, dort, wo man von oben eine weiße Kirche, Santa Maria de Idris, sieht, die im Boden zu stecken scheint. Diese umgekehrten Kegel, die Trichter, heißen Sassi: Sasso Caveoso und Sasso Barisano. Sie sind so geformt, wie wir uns in der Schule die Hölle Dantes vorgestellt haben. Und auch ich begann, auf einer Art von Saumpfad von einem Kreis zum andern in den Grund hinunterzusteigen. Dieses ganz schmale Sträßchen, das sich in Kehren hinunterwindet, führt über die Hausdächer, wenn man sie so nennen kann. Es sind Höhlen, die man in die verhärtete Lehmwand der Schlucht gegraben hat; jede hat vom eine Fassade; einige sind ganz hübsch, mit ein paar bescheidenen Ornamenten, im Stil des 18. Jahrhunderts. Wegen der Neigung des Hanges beginnen diese fingierten Fassaden unten hart am Berg. Oben springen sie etwas vor: in dem engen Raum zwischen den Fassaden und dem Abhang liegen die Straßen; sie bilden zugleich den Boden für den, der aus den oberen Behausungen heraustritt, und die Dächer für die drunterliegenden. Die Türen standen wegen der Hitze offen, und ich sah in das Innere der Höhlen, die Licht und Luft nur durch die Tür empfangen. Einige besitzen nicht einmal eine solche: man steigt von oben durch Falltüren und über Treppchen hinein. In diesen schwarzen Löchern mit Wänden aus Erde sah ich Betten, elenden Hausrat und hingeworfene Lumpen. Auf dem Boden lagen Hunde, Schafe, Ziegen und Schweine. Im allgemeinen verfügt jede Familie nur über eine solche Höhle, und darin schlafen alle zusammen, Männer, Frauen, Kinder und Tiere. So leben zwanzigtausend Menschen. Kinder gab es unzählige. In der Hitze, im Staub, ?iegenumschwärmt tauchten sie von allen Seiten auf, entweder ganz nackt oder mit ein paar Lumpen bekleidet. Ich habe noch nie ein solches Bild des Elends erblickt, und dabei bin ich doch in meinem Beruf gewöhnt, täglich sehr viele arme kranke und schlecht gepflegte Kinder zu sehen. Aber ein Schauspiel wie das gestrige hätte ich mir auch nicht einmal vorstellen können. Ich sah Kinder auf der Türschwelle im Schmutz Unter der glühenden Sonne sitzen mit halbgeschlossenen Augen unter roten geschwollenen Lidern; die Fliegen setzten sich auf die Augen, aber sie rührten sich gar nicht, sie verjagten sie nicht einmal mit den Händen. Ja, die Fliegen krochen ihnen über die Augen, und sie schienen es nicht zu spüren. Es war Trachom. Ich wußte, daß es das hier unten gibt; aber sie so im Schmutz und Elend zu sehen, war doch etwas ganz anderes. Andern Kindern begegnete ich, deren Gesichtchen voller Runzeln waren wie bei alten Leuten; vor Hunger waren sie zu Skeletten abgemagert mit völlig verlausten grindigen Haaren. Aber der größte Teil hatte dicke, riesige, aufgetriebene Bäuche und von Malaria bleiche, leidende Gesichter. Die Frauen, welche merkten, wie ich hineinblickte, forderten mich zum Eintreten auf, und ich sah in diesen dunklen stinkenden Höhlen Kinder, deren Zähne im Fieber zusammenschlugen, auf der Erde unter Decken und Lumpen liegen. Andere konnten sich kaum auf den Beinen halten und waren infolge von Ruhr nur noch Haut und Knochen. Ich habe auch - welche mit wachsbleichen Gesichtchen gesehen, die an einer noch schlimme- ren Krankheit als Malaria, irgendeiner Tropenkrankheít, vielleicht an Kala Azar, dem schwarzen Fieber, zu leiden schienen. Die mageren Weiber, mit unterernährten, schmutzigen Säuglingen an den welken Brüsten, grüßten mich freundlich und trostlos; es wirkte auf mich, als wäre ich in der blendenden Sonne in eine von der Pest heimgesuchte Stadt geraten Ich stieg immer weiter bis zum Grund der Schlucht hinab, auf die Kirche zu, und eine große Menge von Kindern lief in einer Entfernung von ein paar Schritten hinter mir her und wuchs immer mehr an. Sie riefen irgend etwas, aber ich konnte nicht erfassen, was sie in ihrem unverständlichen Dialekt forderten. Ich stieg weiter hinunter, und sie kamen mir immer nach und hörten nicht auf zu rufen. Ich dachte, sie wollten ein Almosen und blieb stehen, und erst da unterschied ich ihre Worte, die sie im Chor schrieen: ›Fräulein, gib mir Chinin! Ich verteilte das bißchen Kleingeld, das ich bei mir hatte, damit sie sich Bonbons kauften, aber das wollten sie gar nicht, sie baten weiter inständig um Chinin. Inzwischen waren wir auf dem Grund der Schlucht bei Santa Maria de Idris, einer schönen Barockkirche, angelangt, und als ich aufblickte, sah ich endlich ganz Matera wie eine schräge Mauer. Von hier wirkt es fast wie eine richtige Stadt. Die Fassaden der Höhlen, die wie weiße nebeneinander stehende Häuser aussahen, schienen mich mit den Türlöchern wie schwarze Augen anzusehen. So ist es wirklich eine sehr schöne, malerische und eindruckvolle Stadt. Es gibt auch ein hübsches Museum mit bemalten griechischen Vasen, antiken Statuetten und Münzen, die in der Umgegend gefunden worden sind. Während ich es besuchte, standen die Kinder immer noch draußen in der Sonne und erwarteten, daß ich ihnen Chinin brächte.« (Carlo Levi: Christus kam nur bis Eboli)

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