Dieter Hirschberg


Free Account, Aachen

Andalusien Geschichte einer Reise.

Wege, deren Ziele ich bin...

Auszug aus "Reise nach Andalusien"
© D.H.

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......so blieben bei meiner jetzigen Abreise auch irdische Probleme zurück, solche, die jeden Reisenden zu Anfang berühren, ihn zurückfühlen lassen, ihn vielleicht zweifeln lassen, ist er noch nicht vom Atem seines Zieles erfasst und umschließt ihn noch nicht diese unbändige Freude über den bewusst selbst gewählten Weg.

Ich erreiche gerade noch den anfahrenden Zug, welcher mir in diesem Moment wie ein Fluchthelfer erscheint, spüre erst jetzt die schmerzende Hand des kantigen Koffergriffes, lasse mich in die Polster fallen, noch unfähig, die durchweichten Sachen abzustreifen, schaue aus dem Fenster der bereits vorbeiziehenden Landschaft zu, welche versucht, sich hinter grauen Regenvorhängen zu verstecken.


Was die jetzige Aussicht anbelangt, scheine ich nicht sehr weit gekommen zu sein. Zumindest, was der Anblick aus dem Fenster verheißt. Graue Regenschleier wehen über die andalusische Landschaft, ein unerwartet kaltes Bild. Ich konzentrierte mich auf mögliche Nahbereiche, welche einen Zusammenhang zwischen trockenem Abteil und innerem Wohlbehagen herbeiführen. Gedankenverloren fingere ich über die beschlagene Scheibe, geradezu so, als könne ich die draußen anhaftenden Tropfen berühren.

Aus dem andalusischen Vorhang erneuern sie sich ständig, bis sie endlich wie von einem riesigen Föhn abgetrocknet werden. Es klart auf, die Bühne wird frei für den Blick auf eine vertraute, vorüber ziehende Landschaft.

Zu Hause hatte ich immer wieder auf den anscheinend immergrünen nach Bergluft und Thymian duftenden Zweig geschaut, den ich von einer Bergwanderung mitgebracht hatte und der mir jedes Mal beim bloßen Anblick versprach, mich am obskuren Ort meiner Sehnsüchte zu verwandeln. Ich schien nicht mehr weit entfernt zu sein.

Obwohl der Zug rumpelnd durch die Nacht gefahren war, fühle ich mich einigermaßen ausgeruht, jederzeit bereit zu neuen Tagträumen. Dicht an der Bahntrasse stehende Telegrafenmasten stimmen ein metronomisches Lied an, begleitet vom fortwährenden Stampfen der Räder. Ein Stakkato, welches nur vorübergehend unterbrochen wird, als sie auf einen kleinen Ort in Küstennähe zulaufen.

Fasziniert schaue ich dem Tanz der herabhängenden Leitungen zu, die im Licht der aufgehenden Sonne einen Reigen beginnen, indem der Zug sie parallel passiert. Von fern betrachtet wird ihre statische Präsenz aufgelöst, sie geraten in eine schwingende Kommunikation, geradezu so, als wollten sie ihre unsichtbare Fracht nach außen kehren, als bestünden sie außer aus Nachrichten, Geräuschen und Stimmfetzen zudem aus einer musikalischen Einlage.

Sie dringen ein in den Ort am Horizont, verlassen ihn am Ende wieder, eilen auf den stampfenden Zug zu, und, geradezu so, als wollten sie mit ihm zusammenstoßen, stellen sie sich ihm wieder zur Seite und begleiten ihn im vertrauten Metronom.

In der Zeit, in der ich ihnen zuschaue, haben sie sicherlich das Ziel meiner Reise als auch den Ort des Verlassens mehrfach berührt, halten mich mit ihm verbunden.

Gewiss hatte ich mich ihnen schon einmal angeschlossen, ihnen den Auftrag gegeben zu übermitteln, habe gleichzeitig vertraute Stimmen empfangen, all diese Orte schon einmal passiert in Zimmern ohne diese jetzige Aussicht.

Wege, deren Ziel ich bin, verlangen nicht allein danach, mit den Augen zu sehen, sie verführen alle Sinnesorgane gleichzeitig. Wann einmal hat es dieses Gefühl dort gegeben, wo ich mich „zu Hause“ wähnte? Unterwegs bin ich es wieder, erreiche mich selbst und meine Ziele ganz nah.

Glücklich empfinde ich den Beginn dieser Verwandlung, schließe meine Augen, lasse mich vom Mantel des Schlafes einhüllen und gleite in einen kurzen, fantastischen Traum.

Während sich die energischen Bewegungen des Zuges auf mich übertragen, wähne ich mich tanzend innerhalb der schwingenden Leitungen, teile mit ihnen die gleiche elektrische Energie, kommuniziere mit Freunden, halte Verbindung zu ihnen wie in einer greifbaren Erinnerung. Das schwarze Band der Leitungen spannt sich an, hält Vergangenheit und Zukunft zusammen, deren einzige Mitte ich sein werde.
Ich lasse mich treiben in dieser physischen Virtualität. Werde ich dies jemals in Worte fassen können?

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