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Haya

Mein Name ist Haya. Ich bin 17 Jahre alt. Am 30. Juni 2013 habe ich meine Heimat Syrien verlassen. Ich habe hier mit meinen vier Geschwistern und meinen Eltern und Verwandten in Aleppo gelebt. Dort war die Situation durch den Bürgerkrieg seit 2012 sehr schwierig. Die Menschen für und gegen Assad haben sich in den Straßen mit Raketenwerfern, Panzern und anderen Waffen gegenseitig bekriegt.

Das Schlimmste war, dass man oft nicht wusste, wer auf welcher Seite steht. Dieses Nicht-Wissen war lebensbedrohlich. Meine Mutter und mein kleiner Bruder sind zum Beispiel einmal von einem Polizisten angehalten und gefragt worden, auf wessen Seite sie stehen (solche Kontrollfragen wurden oft gestellt). Das war eine gefährliche Frage, denn die falsche Antwort konnte bedeuten, dass man stirbt, verschwindet oder ins Gefängnis geht. Mein Bruder Zaid war noch sehr klein und er hat gerufen, dass er für die Rebellen ist. Der Polizist hat ihn daraufhin geschlagen. Er hat zu meiner Mutter gesagt, dass mein Bruder durch den Schmerz lernen soll, Angst vor diesen Fragen zu bekommen. Seine Ohrfeige sollte meinem Bruder helfen.

Als es in Aleppo immer gefährlicher wurde zu leben, haben sich meine Eltern dazu entschlossen, aus Aleppo zu fliehen. Meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger. Da sie am Ende der Schwangerschaft nur noch schlecht laufen konnte, wurde meine kleine Schwester per Kaiserschnitt im achten Monat geholt. Meine Eltern mussten gewusst haben, dass wir nicht mehr lange in Syrien bleiben können, denn sie nannten sie: Sham, nach dem alten arabischen Namen unserer Hauptstadt Damaskus. Sie wollten so ein Stückchen Heimat mit sich nehmen.

Die türkische Stadt Izmir war unser nächstes Zuhause. Hier lebten wir zwei Jahre lang. Das Leben in der Türkei war aber sehr schwierig: Wir Kinder durften nicht zur Schule gehen, wir hatten keine Rechte und meine Eltern hatten so wenig Geld, dass meine älteren Geschwister arbeiten gehen mussten, dabei waren die beiden auch noch Kinder (mein Bruder 12 und meine Schwester 13 Jahre alt).
Meine Mutter, Sham und ich sind dann weiter nach Griechenland mit dem Boot gefahren. Wir wollten die anderen mit dem Familiennachzug nachholen, also sind mein Vater und meine älteren Geschwister in der Türkei geblieben. Ich war erst 12 Jahre alt und ich hatte keine schlechten Erfahrungen mit dem Meer gemacht. Es ist bei mir auch alles gut gegangen, meine Geschwister hatten ein Jahr später – da der Familiennachzug zu lange dauerte sind sie auch über das Meer gekommen – weniger Glück. Wir sind im Sommer übergesetzt und waren innerhalb von vier Stunden auf der griechischen Insel Mytilene. Ich weiß noch, dass es für Sham auf dem Boot beängstigend war. Sie hatte eine große Schwimmweste an, damit sie nicht ertrinkt, falls wir kentern. Sie hatte Angst und wollte Mama umarmen, hat es mit der Schwimmweste aber nicht geschafft. Sie hat während der Überfahrt viel geweint. Mit uns im Boot waren viele Kinder und Frauen, das war die Zeit, in der viele Frauen mit Kindern vorgegangen und die Männer und älteren Kinder zurückgeblieben sind.

Viele unserer Verwandte sind in Syrien geblieben. Sie reden schlecht über uns und sagen, dass wir feige sind. Dabei ist die Situation in Aleppo so schwierig, dass sie kaum wissen, wie der nächste Tag aussieht. Mein Vater hat für uns die Zukunft gewählt, wir sind ihm dafür viel schuldig. Ich vermisse meine Heimat zwar sehr, aber ich möchte gerne in Deutschland bleiben und in eine schöne Zeit hineinwachsen – ich bin jetzt noch Jugendliche und viel Schönes liegt vor mir.

Ich bin auch Deutschland sehr dankbar, aber es gibt viele Probleme: In der Schule habe ich das Gefühl, dass Eltern kaum mit ihren Kindern über unterschiedliche Hautfarben oder Religionen reden. Auf mein Kopftuch werde ich viel angesprochen und manche äußern sich rassistisch darüber. Zum Beispiel, ob ich die Nadeln, mit denen ich mein Kopftuch festmache, auch in meinen Kopf stecke und ob ich mit dem Kopftuch auch duschen gehe. Ich finde das sehr schade, weil ich ja mehr bin, als nur ein Kopftuch und wir könnten doch voneinander viel lernen. Für mich ist das Kopftuch Teil meiner Identität – vielleicht lege ich es eines Tages ab, aber dann nur, weil ich es selbst so entscheide und nicht, weil der Rassismus mich dazu zwingt.

Was ich durch meine Geschichte gelernt habe? Als ich elf Jahre alt war, ist alles weggebrochen, was ich kannte, aber am Ende war da immer meine Familie. Ich würde alles für sie tun. Alles, was ich brauche, finde ich in meiner Familie. Sie sind immer für mich da.

(c) Rike-Kristin Liebsch

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