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Sarah Tustra


Premium (Complete), Berlin

Hermannplatz 10

Der Hermannplatz.

Hier prallen die Bezirke Neukölln und Kreuzberg, unterschiedlichste Kulturen und Formen der Mobilität aufeinander. Es ist kein Platz zum Verweilen, kein Ort zum Flanieren, wer hier her kommt, will meist woanders hin.
Oben duellieren sich Autofahrer, Radler und Fußgänger, unten bieten die U Bahnlinien 7 und 8 Fluchtmöglichkeiten, oder spucken Arbeiter Partyvolk und mutige Touristen aus. Flankiert vom Karstadtgebäude, dessen Türme den Endsiegphantasien der SS im Strassenkampf zum Opfer fielen, wird unter der Woche nebst Obst und Gemüse, allerlei Restpostengeschrammel angeboten. Wer seinen kulinarischen Bedarf mit Grillhähnchen, Tapas, Nudelboxen, einem Super Döner, oder Backfisch nicht gedeckt sieht, verliert sich vielleicht gegenüber in einem schmuddeligen MC Don, oder versorgt sich nebenan mit Donuts einer bekannten Ladenkette. Im Cafe Süß, und auf der Busspur davor, steht morgens die Polizei zur Frühstückpause Schlange um die begehrten Croissants an. Die Tanke nebenan, über die sich der Fußweg bequem, um 20 Meter abkürzen ließ, so lange man nicht den Fehler gemacht hat, sich kurz vorher eine Kippe anzuzünden, ist seit ein paar Jahren geschlossen und verrammelt. Manchmal bietet sie Obdachlosen einen Unterschlupf, bis der Wachdienst sie wieder vertreibt. Der wunderbare „Karneval der Kulturen“ startete früher von hier, und auch zahlreiche Demos nehmen hier ihren Anfang. Einmal im Jahr laufen die Teilnehmer des Berlin Marathons hier an Absperrgittern entlang. Bananen gabs am Kotti, und bald ist die halbe Strecke geschafft. Nicht unweit rekrutierte Turnvater Jahn seine Truppen in der Hasenheide, und wird dafür mit einem, gern immer wieder um interessante Assessoires bereicherten Denkmal beehrt. Neben der „Neuen Welt“ haben sich die Hindus, in jahrelanger Arbeit einen imposanten Tempel gebaut. Unermüdlich kämpfen sich Dezibel starke Krankenwagen durch den Stau, um dem Urban Krankenhaus neue Kunden zu liefern. Die Busfahrer müssen auch erst einmal die Falschparker weghupen, bevor sie ihr neckisches Kaffeepausenschild einschalten können. Nachts ist es hier vergleichsweise leer – die Party startet um die Ecke, in der Weserstrasse. Hier ist nur der Durchlauferhitzer der Stadt, der Verteilerkasten der Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte, und Nöte.
Seinen Namen hat der Platz vom Hermann, dem Cherusker. Man ahnt, auch hier hätte Varus auch auf verlorenem Posten gestanden. Die Römische Armee war zu diszipliniert, sie wären die Einzigen gewesen, die an den roten Ampeln stehen geblieben wären, und dort hinterrrücks von der Kavallerie der E-Scooter niedergemäht worden.


Als Motivation gegen Uploadmüdigkeit, habe ich mich entschlossen, mich mal auf einen Ort zu konzentrieren, und eine kleine Serie zu starten. Da wird viel banales dabei sein – spektakulär ist hier nix. Mal schauen, wie lange ich das zeitlich schaffe, und ob es mir nicht bald schon wieder langweilig wird. Immerhin ist es auch ein Ansporn, mich nun dort öfter mit der Kamera hin zu bewegen.

Comentarios 5

  • Arno F 07/09/2021 4:41

    Auch ohne Text hätte ich die etwas bizarre Kulisse in Berlin verortet.
    Eine interessante Dokumentation insgesamt und ein feiner Filmausschnitt, aus einem langen Großstadt-Kino, wie ich es besuchsweise über 6 Jahrzente wahrgenommen habe, mit Sympathie, Neid und Grusel.
  • Bernadette O. 28/08/2021 15:08

    Eine rätselhafte Szenerie ...
    Fragen über Fragen ...
  • Photomann Der 22/08/2021 14:20

    Darmstädter Turnverein
    hasse auch so ne coole Lighter-App
    ne aber nimm doch die Limo

    klasse !
  • Lumiguel56 20/08/2021 8:23

    Ich sehe es ähnlich wie Shiva. Ein Bild, das Fragen aufwirft, aber keine eindeutigen Antworten liefert. Und deshalb ist es ein interessantes Foto.
  • ShivaK 20/08/2021 7:24

    eine sehr offene Szene, auch gestalterisch. Die Gedanken können springen zwischen der Stretchlimousine (sitzt da ein Popstar drin?) und dem kläglichen Equipment auf der Straße (wer nutzt das?), und man fragt sich, was die beiden da verhandeln; er fragt sie nach dem Weg und hat kein eigenes Handy? Er fragt sie nach Feuer für seine Zigarette, und sie schaut auf dem Handy, ob sie eine App dafür hat?
    Ein sehr spannendes und inspirierendes Bild.

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Carpeta Hermannplatz
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