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Insulaire


Premium (World), Ile de Ré

Opfer-Kehlchen

Am PC sitzend träumte ich vor mich hin, als ich aus den Augenwinkeln
heraus einige große gelbe und rotbraune Herbstblätter wild auf
der Terrasse tanzen sah. Eben hatte ich mich doch noch über die
totale Windstille - sehr selten hier, nahe am Atlantik - gewundert.
Wenige Augenblicke später ließ mich ein hoher verzweifelter Schrei
aufschrecken und nach draußen hasten.
Zu meinem Füßen wälzten sich zwei Rotkehlchen in einem erbitterten
Kampf, der sie auf dem Boden hin und her trieb.
Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, dass das dickere der
beiden Tierchen wie besessen auf das kleinere einhackte. Es setzte
sich auf den Unterlegenen, sein Schnäbelchen fuhr immer und immer
wieder wie ein Dolch gezielt auf das Herzchen des schwächeren
Gegners, - bis es mich bemerkte, sich mit einem wahrhaft unschuldigen
und süßen Gezwitscher in den nahen Lorbeerbaum setzte und mich mit
seinen schwarzen Äuglein musterte.
Das verletzte Vögelchen lag mit ausgebreiteten Flügeln vor mir.
Als ich es behutsam aufhob und in meiner Hand betrachtete, hob es
den kleinen schönen Kopf und schrie, ... schriiiiee zweimal so laut -
wie ein Mensch in höchster Todesqual. So etwas hatte ich nie vorher
gehört.
Dann schloss das Rotkehlchen die Augen und legte sich wie zum
Schlafen auf die Seite. - Kein Tropfen Blut.
Längere Zeit noch atmete und schlief das Vögelchen in einer
Schachtel auf einem weichen Blätterbett.
Ob es in diesen letzten Stunden wohl von Regenwürmchen, einem
Riesen-Meisenknödel und vom nächsten Flug in den Himmel träumte?

Comentarios 9

  • manfred.art 10/02/2020 16:23

    was für eine schöne geschichte,  so liebevoll,  sie berührt mich...was für ein moment!!  herzlichst manfred
  • Klacky von Auerbach 24/01/2020 14:03

    Was für eine herzergreifende Geschichte!
  • carlosb. 24/01/2020 6:46

    Das klingt sehr traurig schön. Eine sehr ähnliche Geschichte hatte ich mal mit einer Amsel.
    Gruss Carlos
  • Tante Mizzi 24/01/2020 6:09

    Diese Geschichte treibt mir Tränen in die Augen ... in der Natur ist zwar Unfrieden durchaus immer wieder vorkommend, aber ich kann mich nicht daran gewöhnen ...
    Schön, dass Du dem unterlegenen Rotkehlchen noch ein weiches Bettchen gemacht hast !!!
    Liebe Grüße
    Mizzi
  • Bernd Kaschner 23/01/2020 23:09

    In der Natur wird es selten sozial zugehen,
    fressen und gefressen werden ist angesagt.
    Hier beginnen Diskussionen, Katzen nur noch an der Leine
    zu halten, damit keine Vögelchen unnötig von den Tatzen getötet zu werden.
    Nunja, Natur bleibt Natur, viele Grüße vom Bernd
    Achja: Eine gelungene Aufnahme.
    • Hellmut Hubmann 24/01/2020 23:02

      Wir User sind Teil der gleichen Natur.
      Dem Wolf als Klischee-Raubtier wird ein starkes Sozialverhalten bestätigt. Anderen Tieren auch.
      Im Namen eines Kreuzes oder einer Phrase töten Menschen gnadenlos ohne Not.
  • Wilhelm Harlander 23/01/2020 22:49

    .

    ........ grausiges Erlebnis mit ungeklärtem Ursprung ........ s´lebn is grausam .......... !

    willi - z´minga

    .
    • Insulaire 23/01/2020 23:23

      Das waren 2 "Männchen".
      Rotkehlchen sind Einzelgänger, vertragen sich nicht.