Silvia Pax optima rerum


Free Account, Absurdistan

Warum bist du so traurig?

Als die Lüge und die Wahrheit sich begegneten, fragte die Lüge:
"Warum bist du so traurig?"
''Ich bin traurig", erklärte die Wahrheit, "weil die Menschen mich nicht mögen, Angst vor mir haben und vor mir flüchten. Und dabei brauchen sie mich doch so sehr! Und warum bist du so gut gelaunt?"

"Ich bin gut gelaunt", sagte die Lüge, weil die Menschen mich nicht nur brauchen, sondern mich auch mögen und lieben und täglich in ihr Leben lassen."

"Kein Wunder, dass die Welt so furchtbar ist !" stellte die Wahrheit mit bitterem Tonfall fest. "Sie wäre besser, wenn es dich nicht gäbe !"

"Oh", sagte die Lüge beleidigt. "Gönnst du mir meine Existenz nicht? Vergiss nicht, ich bin sehr nützlich. Ich erspare den Menschen die Begegnung mit dir, die sie so oft nicht ertragen. Denn was hast du ihnen schon zu bieten ?"

"Mich selbst", sagte die Wahrheit.
"Das genügt den Menschen nicht. Du sagst ihnen, dass sie nur geboren werden, um irgendwann zu sterben. Dass nichts bleibt, wie es ist. Dass sie krank und alt werden. Dass sie ihre Freunde verlieren und ihre Liebesgeschichten scheitern. Sie brauchen Hoffnungen, sie brauchen Illusionen. Und die gebe ich ihnen!"

Die Wahrheit dachte eine Weile nach. Schließlich sagte sie: "Vielleicht machst du den Menschen das Leben oft leichter. Und deshalb mögen sie dich. Weil sie im allgemeinen das Leben als schwer empfinden. Doch früher oder später müssen sie mir ins Gesicht sehen. Warum tun sie das nicht gleich, wenn sie es ohnehin irgendwann tun müssen ?"

"Weil die Menschen gerne das Unangenehme so lange wie möglich vor sich hinschieben und sich erst dann damit auseinandersetzen, wenn es gar nicht mehr anders geht.
So sind sie nun mal!"

"Ja", gab die Wahrheit der Lüge recht, "da sagst du mal ausnahmsweise die Wahrheit."
Hans Kruppa

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