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An Caroline B...

Caroline B.

Verkündigung

Die Worte des Engels

Du bist nicht näher an Gott als wir;
wir sind ihm alle weit.
Aber wunderbar sind dir
die Hände benedeit.
So reifen sie bei keiner Frau,
so schimmernd aus dem Saum:
ich bin der Tag, ich bin der Tau,
du aber bist der Baum.

Ich bin jetzt matt, mein Weg war weit,
vergieb mir, ich vergaß,
was Er, der groß in Goldgeschmeid
wie in der Sonne saß,
dir künden ließ, du Sinnende,
(verwirrt hat mich der Raum).
Sieh: ich bin das Beginnende,
du aber bist der Baum.

Ich spannte meine Schwingen aus
und wurde seltsam weit;
jetzt überfließt dein kleines Haus
von meinem großen Kleid.
Und dennoch bist du so allein
wie nie und schaust mich kaum;
das macht: ich bin ein Hauch im Hain,
du aber bist der Baum.

Die Engel alle bangen so,
lassen einander los:
noch nie war das Verlangen so, so
ungewiss und groß.
Vielleicht, dass Etwas bald geschieht,
das du im Traum begreifst.
Gegrüßt sei, meine Seele sieht:
du bist bereit und reifst.
Du bist ein großes, hohes Tor,
und aufgehn wirst du bald.
Du, meines Liedes liebstes Ohr,
jetzt fühle ich: mein Wort verlor
sich in dir wie im Wald.

So kam ich und vollendete
dir tausendeinen Traum.
Gott sah mich an; er blendete...

Du aber bist der Baum.

- Rainer Maria Rilke -

Comentarios 18

  • Sabine Kuhn 13/07/2007 17:49

    - - -
  • TwiN PearL 23/06/2007 14:10

    Tief berührend...danke...lg Jutta
  • ENIWA 23/06/2007 0:19

    Die Welt ist voller Gegensätze. Hinter der Trauer verbirgt sich Glück, und hinter dem Glück Trauer. Wo die Sonne scheint, ist auch Schatten; wo Licht ist, ist auch Dunkel; wo Geburt ist, da ist auch Tod. Loslösung von allem besteht darin, von diesen Gegensätzen nicht mehr berührt zu werden. Die Methode, über sie zu obsiegen, besteht nicht darin, sie auszulöschen, sondern darin, sich über sie zu erheben und vollkommen frei zu sein von jeder Gebundenheit an sie.
    Mahatma Gandhi

    Tiefsinnig ......
    Lg, Ewa
  • Karo Dahl 22/06/2007 19:31

    wieder einmal ganz fantastisch
    lg karo
  • Marie Laqua 22/06/2007 19:30

    *
  • Angelika H. 22/06/2007 18:03



    .


  • Susann Kahlcke 22/06/2007 14:24

    +
  • Helga Niekammer 22/06/2007 9:59

    E r g r e i f e n d und bildlich brilliant. LG Helga
  • Tanjung-Pinang 22/06/2007 8:21

    +++
  • Heide M.H. 22/06/2007 3:19

    Wenig Bild (schaut doch ausdruckvoll), langes Gedicht - ist ganz positiv gemeint! Ja, vom Baum, von dem man hier nicht sieht, da bekommst du demnächst eine Version von mir! sei ein bisschen gespannt! l
    Denn:
    Sei allem Abschied voran, wie der Winter , der eben geht (ich aktualisiere: Sommer, der fast schon geht). Und kein Wanderer ohne Ziel, niemals!

    Und wenn ich dann mal auf meinem Waldfried liege, ritzt du mir meine Lieblingszeilen in dieRinde?:

    Sei immer tot in Euridice,
    singender, preisender steige zurück in den reinen Bezug.
    Dort, unter vielen, im Reiche der Neige,
    sei ein klingendes Glas, das im Klang schon zerschlug.

    es ist gar nicht nötig, dass du mich dann wieder so erkennbar zusammensetzt ;-) lg Heide-Angelika
  • Rika K. 22/06/2007 1:23

    +
  • Gabi Anna 21/06/2007 23:02



    Vom Schatten eines Hauchs geboren
    Wir wandeln in Verlassenheit
    Und sind im Ewigen verloren,
    Gleich Opfern unwissend, wozu sie geweiht.

    Gleich Bettlern ist uns nichts zu eigen,
    Uns Toren am verschloßnen Tor.
    Wie Blinde lauschen wir ins Schweigen,
    In dem sich unser Flüstern verlor.

    Wir sind die Wandrer ohne Ziele,
    Die Wolken, die der Wind verweht,
    Die Blumen, zitternd in Todeskühle,
    Die warten, bis man sie niedermäht.


    Georg Trakl


    danke für caroline

    gabi


  • Horst Häring 21/06/2007 21:42

    In der Schule hab ich Rilke nicht gemocht.
    Aber durch Deine Art mir seine Worte
    nah zu bringen und dadurch Deine Fotos besser zu verstehen,sehe ich da vieles jetzt anders...deutlicher.
    Danke !!
    LG
    Horst